Warum fliegen vier Schweizer im Winter auf die nördlichste Insel Japans? Nach einem kurzen youtube-Studium liegt die Antwort auf der Hand: Um den legendären JAPOW – den superfluffigen, in Massen vom Himmel fallenden Powder zu fahren! Das Hokkaido dabei weit mehr zu bieten hat als Skifahren mit Selfie-Stick zeigt unser Selbstversuch. Photos
Angedacht waren zwei ruhige Tourenwochen zu viert irgendwo im Schnee – Norwegen war mein Favorit. Bei Pasta und Wein sollten diese Pläne im letzten Herbst im Beisein von Isabelle, Kathrin, Dani und mir besiegelt werden. Doch Dani hatte anderes im Sinn. Als er die Frage nach dem Ort mit dem meisten Schnee auf dem Planeten in die Runde warf, war klar das dies nicht oberhalb des Polarkreises sein kann. Ich dachte an Colorado oder Südost-Alaska – aber sicher nicht an Japan!
Einige Monate später sassen wir Ende Januar im Flugzeug nach Tokio. Mit im Gepäck vier Paar sagenhaft leichte Breitgleiter von G3 inklusive der brandneuen ION Pinbindung und Fellen. Nach einem kurzen Inlandflug und einer Busfahrt von Sapporo nach Niseko erreichten wir nach rund 19 Stunden Reisezeit das Powder-Mekka Niseko. Trotz Schlafzimmerblick und roten Augen staunten wir Bauklötze in Anbetracht der teilweise fast haushohen Schneehaufen links und rechts der Strasse – von Schneemangel kann wirklich keine Rede sein.
Tag 1: Das Kleingedruckte im Powdernirvana
Unser erster Skitag präsentierte sich in atypischer Art und Weise – die Sonne schien ohne das Schneeflocken vom Himmel fallen. Nach dem Schnee der letzten Tage wurden an diesem Sonntag die Gates, so nennen sich offizielle Startpunkte für Powderabfahrten in Skigebieten, geöffnet. An der Talstation in Niseko dann die erste Überraschung. Trotz schönstem Wetter und bestem Schnee standen wir beinahe alleine vor der Gondelstation. Beim Verlassen des höchst gelegenen Liftes des Annapuri-Skigebiets oberhalb Niseko folgte dann die Lösung des Rätsels. Das Skigebiet war nicht etwa geprägt durch Spätaufsteher oder Powdermuffel, sondern durch das genaue Gegenteil. Zu hunderten stapften Boarder und Skifahrer die letzten 150 Höhenmeter empor zu den beiden Gipfel-Gates. In Mitten der Brandung von Powdersuchenden rief eine Pistenpatrouille dazu auf, vorsichtig an die ungesicherten Gebiete heranzugehen.
Mit der Einfahrt in die Steilhänge des Annupuri schwoll die angestaute Vorfreude an in schiere Euphorie. Trotz den hunderten von Fahrern, welche gottlob meist auf der einfacheren Ostseite abfuhren, fanden wir in den Westhängen noch unverspurte, grosse Mulden mit knietiefem Fluffi-Powder! Mein Empire 127, der breiteste Ski von G3, war im Element! Mit einem Hüpfer gings über die kleine Wechte ab in den Steilhang. Zwei, drei Bögen, eine rasend schnelle Traverse mit Sprungwechseln und langgezogenen Linien gefolgt von brennenden Oberschenkeln, keuchendem Atem und einem Adrenalinflash von feinsten – dieser Ski macht süchtig! Der Empire gleitet ruhig, mit einer wunderbaren Spurtreue, dynamischem Flex bei rascher Druckentlastung und mit kräftezehrendem, forderndem Auftrieb! Der Blick in die Gesichter der anderen drei bestätigte meine Euphorie! Dani meinte gar, das geilste zu fahren was er bisher an den Füssen hatte!
Nach der dritten Abfahrt vom Annupuri schaltete das Flutlicht der Nachtskianlage an und unsere Beine wechselten in den Energiesparmodus. Argument genug, sich bei Chad, unserem Australier der Slow Life Lodge, um den Bierkasten zu kümmern.
Tag 2: Tour de Annupuri
Der zweite Tag im Powderparadies. Der angeblich täglich frisch produzierte Neuschnee fehlte diesen Morgen. Vom Vorabend wussten wir, dass am Annupuri kein Powder mehr zu finden ist. So stellten wir kurzerhand auf Alpinbetrieb um. Mit dem Taxi ging’s Richtung Osten zum Waisu-Onsen, welches an unverspurtes Tourengelände im Norden des Annupuri grenzt. Onsen sind die japanischen Versionen unserer Termalbäder und sollten uns noch vielschichtig in Erinnerung bleiben. Diese Bäder weisen meist kleine, relativ einfachen Becken mit warmem (42°) bis abenteuerlich heissem Wasser (eher 50°) auf und dienen der Reinigung von Körper und Geist – letzteres nehmen die Japaner sehr ernst! Unser Tagesziel war die Traverse vom Waisu-Onsen bis ins Skigebiet des Annupuri bei Moiwa.
Der Aufstieg vom Onsen gestaltete sich zuerst als gemütliche Tour im Wald. Als wir die verschneiten Birken hinter uns liessen nahm der Wind markant zu. Auf dem Nebengipfel des Weisshorn, nicht zu verwechseln mit seinem Namensvetter im Wallis, war Ende der Fahnenstange. Der Wind blies orkanartig, so dass das Felle verräumen zu einer flattrigen, sehr kalten Angelegenheit ausartete.
Die Abfahrt durch die etwas windgepressten aber wunderbar pulvrigen Nordhänge entschädigte für das Ausharren im Wind. Der nächste kurze Aufstieg durch einen lichten Birkenwald hoch auf einen Sattel erwies sich als Sackgasse. Kurz vor dem Sattel zogen innert weniger Minuten dichte Wolken ein und liessen die Sicht gegen Null schrumpfen. Miese Sicht, heftiger Wind und die Kälte nagten an unserer Zuversicht die Traverse erfolgreich zu beenden, so dass wir unsere Tour abbrachen. Der Aufstiegsspur folgend preschten wir durch den Birkenwald. Treerunning at it’s best! Nach einem knackigen Stück dem eingeschneiten Bach entlang erreichten wir vor dem Eindunkeln das Waisu-Onsen, welches selbstverständlich ausprobiert werden musste. Die kalten Glieder mochten zwar des auf 42° runtertemperierte Wasser im innern des Gebäudes, nicht aber den ursprünglich anmutenden Kochtopf im Aussenbereich. Wie gerupfte Störche wateten Dani und ich durch das süttigheisse Wasser – das die Haare an den Beinen sich nicht vor Hitze kräuselten, glich einem Wunder. An ein Absitzen war nicht zu denken, weshalb wir wie die letzten Onsen-Pfeifen wieder in die vergleichweise kühlen Tümpel auswichen.
Tag 3: Skandal um Frau Holle
Die sogenannte Kaltfront welche über Nacht eigentlich Schnee bringen sollte, zeigte sich am Morgen als hässlicher und ausdauernder Regen. Da halfen auch die gutgemeinten Worte von Gute-Laune-Greg, einem weiteren Betreiber der Slow Life Logde, nicht weiter. Wir beobachteten den Schnee- und Eisräumungsdienst und tranken Japan-Grüntee.
Tag 4: Mission JAPOW mit Risiken und Nebenwirkungen
Der Annupuri soll hart und verregnet sein – ergo liehen wir ein Auto und steuerten das Treerun-Eldorado Rusutsu an ohne dabei zu wissen was uns effektiv erwartet. Schon im Auto sank das Thermometer deutlich – Grund zur Freude! Rusutsu begrüsste uns Neuschnee, erstaunlich wenigen ernsthaften Wintersportlern und einer supergünstigen Tageskarte für umgerechnet etwa 30 Franken.
Der Temperaturgradient von Tal- bis Bergstation war erneut enorm und entspricht nicht dem was wir von der Schweiz kennen. Der Toplift spuckte uns bei Eiseskälte in einen zauberhaft verschneiten Wald. Lautlos und ohne den geringsten Widerstand an den Skiern glitten wir durch fast kniehohen Schnee. Unser erster JAPOW – so fluffig, dass es zwar staubte wie gewünscht, die beinhart gefrorene Unterlage aber ein unberechenbares ruppiges Terrain bot. Mit kräftigem Schneefall nahm auch die Stärke der Schneedecke rasch zu und wir gerieten immer mehr in einem Rausch – ein Rausch aus federleichtem Pulver und spielerisch vergnügten Fahrten durch die Birkenwälder. Doch jeder Rausch hat ein Ende – bei mir in Form einer rund 30cm dicken Birke, welche sich hinter einer Fichte versteckte. Ungebremst prallte ich mit Helm, Fotobrusttasche und Knien in den Baum. Die Schmerzen waren nicht unerheblich – noch grässlicher war aber die Vorstellung dem Kapitel Japan ein vorzeitiges Ende gesetzt zu haben. Nach einer kurzen Phase der Beinahebewusstlosigkeit kam nach und nach wieder Leben in die geprellten und gequetschten Glieder und damit die Gewissheit, das Mister Schuppli nochmals richtig viel Glück hatte.
Tag 5: Tour de Annupuri zum zweiten
Die Kaltfront war eingetroffen und damit der Neuschnee in Niseko. Wir wollten die Tour über das Weisshorn nochmals angehen, wenn auch in umgekehrter Richtung. Anstatt uns ins Getümmel am Annupuri zu werfen fuhren wir daher mit dem Shuttle nach Moiwa und traversierten vom Skigebiet Richtung Goshiki-Onsen am Fuss des Iwaonopuri, einem erloschenen Vulkan westlich von Moiwa. Ohne dem warmen Wasser des Onsens nähere Beachtung zu schenken, stiegen wir auf Richtung Krater. Die Temperatur nahm mit zunehmender Höhe erneut deutlich ab und der Wind zu. Auf dem Vulkan tobte einmal mehr ein kräftiger, sehr kalter Wind und die Orientierung zeigte sich als etwas schwieriger als erwartet. Ich spürte meinen Baumcrash bei jedem Schritt, was gründlich auf meine Moral schlug. Die Traverse gelang und wir fuhren von der Caldera des Vulkans mit einem kleinen Umweg ab in Richtung des Passes auf welchem wir vor zwei Tagen gewendet haben. Der Rest bestand aus tief verschneiten Treeruns in uns mittlerweile bekanntem Terrain, auf der Nordostseite des Vulkans. Eine Schmerztablette später konnte auch ich wieder mitreden und wir genossen gemeinsam die unglaubliche Stille und Schönheit dieser Landschaft. Bei rund 3m gesetztem Schnee schauten oft nur noch die Baumkronen raus, was die Bäume aussehen liess wie überdimensionale, etwas kahle Broccoli. Während wir Richtung Weisshorn aufstiegen schneite es Mal heftig und Mal gar nicht – das Wetter bot uns eine gewaltige Stimmungskulisse wie wir sie in der Schweiz erst selten beobachtet haben.
Tag 6: Niseko-Furano einfach
Unsere Zeit in Niseko war abgelaufen ohne das wir Yotei, den markanten und berüchtigten Vulkan im Osten der Stadt bestiegen hätten. Ganz geschlagen wollten wir uns nicht geben und gaben uns zu Beginn des Reisetags zumindest eine Chance. Am Fuss der riesigen Rampe wollte nicht so wirklich Stimmung aufkommen. Ich kroch daher wie ein alter Mann – Zwerchfell, Knie, Hüfte, Brust alles schmerzte … der berühmte zweite Tag nach einem Unfall. Bei den ersten Spitzkehren explodierte ich, rein gar nichts wollte gehen, meine Motorik in den Beinen war schlicht nicht vorhanden, die Hüfte blockiert. Fluchend und voller Wuthormone wuchtete ich meine Riesengleiter um die Ecke und stürmte den Hang hoch nur um nach fünf Minuten die Retourkutsche zu erhalten – nichts ging mehr. Mit lediglich etwa 500 Höhenmetern in den Beinen war für mich Schluss. Schmerztabletten wollte ich keine nehmen, musste ich doch noch rund 4 Stunden Autofahren und das bei Linksverkehr… Der Entscheid zu wenden war weise, ich war nicht der einzige dessen Gedanken sich mit dem Sinn unseres Yotei-Unternehmen beschäftigten. Nach einem kurzen Ritt durch dichten Wald gings mit dem Auto weiter Richtung Otaru, um von dort nach Furano zu fahren.
Otaru ist ein eigenartiges Fischerstädtchen. Zuerst präsentierte es sich etwas schmutzig und lärmig weshalb wir die Euphorie der vielen japanischen Touristen so gar nicht teilen konnten. Doch wie so oft verstecken sich die Qualitäten im Innern – wir entdeckten in einem Hinterhof ein sehr japanisches Restaurant mit dem Charme einer gepflegten aber sehr alten Inneneinrichtung. Perfekt dazu passend bediente uns eine vermutlich ebenso in die Jahre gekommene Japanerin welche sich so ganz unjapanisch einen Spass daraus machte, uns neugierig zwischen den Regalen hindurch beim Essen zu beobachteten. Sie schien in der Tat amüsiert ob unseren hilflosen Versuchen ihre sonderbaren Köstlichkeiten mit den Stäbchen zu teilen. Das Essen war aussergewöhnlich schmackhaft und mit Herz zubereitet. In Zürich hätten wir wohl locker 25.- pro Person liegen lassen – nicht so in Otaru. Umgerechnet ganze 18.- Franken wollte das alte Mütterchen von uns, für alle vier versteht sich. Ganz unorthodox, weil nicht üblich in Japan, konnten wir diesen unverschämt günstigen Preis nicht auf uns sitzen lassen und bestanden auf einem angemessenen Trinkgeld. Energisch wies unsere Gastgeberin das Geld zurück – doch nicht energisch genug. Voll mit Lachs, Reis, Suppe, Krabben, Japan-Grüntee, weiteren undefinierbaren Meerestieren und Algenblättern verliessen wir die Gastgeberin, deren Augen leuchteten als seien wir hübsch geschmückte Weihnachtsbäume.
Tag 7: Sandanyama
In Furano braucht es ein Mietauto, sonst wird’s nix mit den Skitouren oder mit Freeriden. Das Skigebiet der Stadt ist nicht eben berühmt für massenhaft Powder und auch der Rezeptionist unseres Hotels verstand meine Frage nach einem Lawinenbericht falsch. Er meinte nicht ohne Stolz, dass sich Skifahrer in Furano keine Sorgen machen müssen wegen Lawinen. Dies sei ein sicherer Skiort, weil keine riesigen Mengen Schnee fallen würden. Er lächelte und wir lächelten zurück.
Um besten Powder zu erreichen hüpften wir ins Auto und fuhren zum Tokachidake Onsen am Fuss einer Nord-Süd ausgerichteten Vulkankette im Daisetsuzan National Park. Bei unserer Ankunft auf einem Parkplatz in der Nähe des Onsens waren wir nicht wirklich alleine. Sonderbare Dinge spielten sich ab. Einzelne Japaner sassen an einem Samstag in ihren Fahrzeugen und schienen auf irgendetwas zu warten. Die Motoren liefen. Ein kleiner Pfad führte vom Parkplatz in den völlig verschneiten Wald. Dani wollte zum rechten schauen und folgte dem Pfad, während wir unseren Ski vorbereiteten. Dani fand des Rätsels Lösung. Die Männer harrten nicht etwa einer Angelegenheit die Gott verboten hat oder aber am achten Tag einführen wollte, sondern warteten auf ihren goldenen Moment, um in das im Wald versteckte, natürlich Onsen zu hüpfen. Da die Pools klein waren und die Japaner sich offensichtlich zu gross fühlten um zu teilen, warteten sie schliesslich einfach bis die Pools wieder frei waren. Wir verliessen die bizarre Warterei und spurten uns einen Weg durch dichten Wald hoch Richtung Tagesziel. Als eine der ersten Gruppen des Tages erreichten wir den Sandanyama. Was nach einem indischen Schwefel-Gott klingt ist in Wirklichkeit ein herrlicher Skiberg mit alpinem Ambiente und einer super Abfahrt durch Mulden und leicht bewaldete Hänge. Völlig durchfroren wieder auf dem Parkplatz angekommen, konnten wir uns beim besten Willen nicht vorstellen bei minus 14°C die Kleider vom Leib zu reissen, um dann ruhig und gesittet in womöglich viel zu heisses Wasser zu sitzen. Wir verschoben unser natürliches Onsen Abenteuer.
Tag 8: Waldgrenze retour
Weils so schön war fuhren wir gleich nochmals zum Fukiage Onsen. Diesmal benutzten wir aber den Parkplatz der Onsen-Anlage und nicht jenen des natürlichen Onsens. Unser zweite Sonntag in Japan und auch heute waren wir nicht ganz alleine. Vor allem ältere Japanerinnen und Japaner bezogen den Ski mit Fellen, um damit aufzusteigen. Die jüngeren Einheimischen schwören auf Snowboards, wobei Splitboards wohl der kaiserlichen Zensur zu Opfer gefallen sind. Zudem scheint der Selbstaufstieg uncool zu sein oder der Selfie-Stick zu schwer. Wie dem auch sei – Japaner welche aus eigener Muskelkraft aufstiegen und jünger als 40 Jahre zu sein scheinen, haben wir keine angetroffen.
Es schneite was das Zeug hält und der Parkplatzräum-Radlader hatte alle Schaufeln voll zu tun. Heute wollten wir einen Vulkan neben dem gestrigen Ziel angehen. Bereits 1 ¼ Stunden später schritten wir über die Baumgrenze und ein grauenhaft kalter und starker Wind mit lausiger Sicht zwang uns in die Knie. Abfellen und retour. Ultrafluffig gings los durch mehr als knietiefen Schnee inmitten von Bäumen. Auf einer Geländekante stoppend fühlte ich mich wie in einem Skifilm mit Suchtpotential – Dani im Powderwahn schoss an mir vorbei und zerteilte wie ein kleiner Gott mehrere prächtige Pillow’s bevor er in seiner eigenen Staubfahne zwischen den Bäumen verschwand. Nach pulvrigen zehn Minuten waren wir leider bereits wieder auf dem Parkplatz, wo zu unserem Erstaunen bereits 20cm JAPOW unseren Toyota bedeckten. Um nicht an Ort und Stelle einzufrieren knallten wir die Felle erneut drauf und stiegen nochmals hoch.
Tag 9: Asahidake – potentieller Powderheaven
Schnee in rauen Mengen hat’s nun. Jetzt brauchen wir zusätzliches Gefälle und eine Bahn welche uns nach oben transportiert. Asahidake ist das Gebiet der Wahl. Die Norweger aus dem Hotel haben dasselbe Ziel und fahren sogar früher ab. 1:0 für die Norweger. Nach einer schier endlosen Rallyfahrt hoch Richtung Bahnstation liegt diese ruhig und verlassen in unflauschiger Eiseskälte. Keine Norweger hier! 1:1 für alle. Eine handvoll Australier sitzen in der Eingangshalle der Talstation und machen lange Gesichter. Zwei Minuten später tun wir’s ihnen gleich – die Bahn würde heute nicht fahren, da es zu stark windet. Wir verklickern dies den Norwegern, welche in Vollmontur die Bahn stürmen wollen – geteiltes Leid wäre eigentlich halbes Leid.
Unser Alpenherz muckt auf und wir zücken die Felle – die Norweger murren. Ein Mädel mit blonden Haaren meint, sie sei hierhergekommen um für einmal nicht laufen zu müssen! 500 Höhenmeter bis zur Bergstation können ja nicht so wild sein sagen wir uns. Oben etwas Kleines essen und hopp auf Richtung Gipfel des Asahidake, dem höchsten Berg auf Hokkaido. Das wären dann 1000 Höhenmeter bei bestem Schnee – so die Theorie. Die Norweger bedanken sich fürs Vorspuren und geloben ebenfalls zu Fuss aufzusteigen. Das Pistenfahrzeug hat das Gebiet bestens auf einen Skitag vorbereitet, weshalb wir gemütlich auf der Piste aufsteigen. Doch kurz unter der Bergstation ist dann definitiv Schluss mit Lustig. Mit bis dahin nicht verspürter Stärke tobte einmal mehr der Wind und liess die Gesichtshaut innert Sekunden taub werden. Mühsam arbeiteten wir uns hoch zu Bergstation und kuschelten uns dort in einen offenen und geheizten Raum – von Wegen hopp auf den Gipfel! Wir streichen unser Ziel und freuen uns auf eine wunderbar fluffige Tiefschneeabfahrt. 15 Minuten später stehen wir bereits wieder vor der Talstation – runter gings grossmehrheitlich auf der Piste. Konsterniert fragen wir uns, wo wir wohl all die Höhenmeter verpufft haben. Weshalb konnten wir nur einmal etwas Powder aufwirbeln? Was läuft hier eigentlich!? Die Situation könnte nicht paradoxer sein – es hat Hokkaidopowder zum abwinken und wir verpassen die steilen Passagen! Scheissgefühl! Was solls – Felle rauf und das Selbe noch einmal. Diesmal merken wir uns detailliert wo ganz genau wir unsere Kurven und Traversen anlegen. Wir wollen Powder einatmen!!
Etwas unterhalb der Bergstation wenden wir und es geht los. Zwei POW-Kurven und retour auf den Trak um Geschwindigkeit zu halten. Doch Isa und Kathrin fehlen. Die Ironie der Situation wird unerträglich – Isa verletzt sich den Fuss und kann nur noch knapp auf der Piste runterrutschen. So unfair kann Sport sein! Dani und Isa jagen uns fort und Kathrin und ich POW’en mit einem schlechten Gewissen die Hänge. Oberhalb eines Bachbettes dann der Fotoshoot. Ich gebe mein Bestes und rausche durch hüfttiefen Powder, das Gelände wird steiler und der Schnee raubt mir die Sicht. Eine Alarmglocke im hintersten Kleinhirn schrillt – DER BACH KOMMT DA UNTEN! Zwei Pillows ohne Sicht tiefer ist’s zu spät – ich schwinge ab, das Riesenkissen bricht ab und nimmt mich mit in die Tiefen des Bachbetts – zwar liege ich nicht im Wasser jedoch kopfüber unter einem gewaltigen Powderpilz, der mich – sollte es sich entscheiden ebenfalls abzubrechen – kurzerhand fluffig eindecken würde. Vorsichtig löse ich den einen Ski der noch an mir hängt und rabble mich auf. Ich komme mir vor wie ein Zwerg im Kissenland. Wie soll ich da bloss wieder rauskommen – die Erzählungen der Nordweger hallen in meinem Kopf … „Wir hatten 1 Stunde bis wir aus dem Bachbett raus waren!“ In einer Stunden ist’s dunkel und Isa muss zurück ins Hotel, ergo Finger raus und auf allen vieren versuchen einen Weg aus Kissenhausen zu finden. Kathrin hat sich in der Zwischenzeit ebenfalls ins Off-Sight manövriert und wir krabbeln zu zwei über die Kissen. Vor einem tiefen Spalt, auf dessen Grund der Bach gurgelt kommen wir zu stehen. Einem auf Hokkaido heimischen sibirischen Flughörnchen gleich, springe ich mit ausgestreckten Gliedmassen über den Spalt und versuche mein Gewicht auf der anderen Seite mit einem beherzten Vollräntsler so breit wie möglich zu verteilen. Die Böschung hält. Kathrin versucht das Selbe, erwischt meinen entgegen gestreckten Skistock und hängt mit baumelnden Beinen in den Spalt hinein. Nach ordentlichem Wühlen und ziehen stehen wir wenig später wieder auf der Pistentrasse. Strahlend wie Maienkäfer betrachten wir unsere Lines und sind uns einig – die Mühe im Bachbett hat sich gelohnt.
Tag 10: Tokachi – das Kältewunder
Schuster bleib bei deinen Leisten! – nach diesem Motto preschten wir für den letzten Tag auf Hokkaido nochmals zum Fukiage Onsen. Isa war leider nicht mit dabei, weil das gebrochene Sprunggelenk nicht mehr in den Skischuh passen wollte. Unser Ziel war der Gipfel des Tokachi, ein Schichtvulkan mit dampfenden Schloten und einer Caldera. Mit 2077 m.ü.M. ist der Tokachi einer der höchsten Vulkane der Gegend und fordert etwas mehr als 1200m Aufstieg. Bei strahlendem Sonnenschein und einmal mehr eisigen 15 Grad minus folgten wir der Spur zweier Vulkanologen, welche ihre Messstationen am Vulkan enteisen gingen. Nach dem passieren der Forschungsstation mussten wir selbst spuren. Das Gelände führte uns über eine stellenweise etwas mehr als 30° steile Rampe hoch in die grosse Mulde am Fuss des Gipfels. Leicht ansteigend umgingen wir den Kessel in Richtung der dampfenden Caldera. Auf dem Grat des Maetokachi, einem Teilgipfel des Vulkans angekommen wurde endlich der Blick frei auf die mächtig dampfende Nordwest-Flanke. Kleinere Fumarolen am Grat boten sich an als perfekte Handwärmer. Zwar duftete die warme, dem Erdinnern entströmende Luft ziemlich nach faulen Eiern, doch bei mittlerweile etwa -20° wurden Düfte plötzlich sekundär. Schon nach kurzem Traversieren erreichten wir vom dampfenden Grat die ebenfalls aktive Caldera. Gelbe Schneeformationen zeigten auch hier welches Element hier die Luft würzt. Wir liessen die Caldera hinter uns und drehten ab auf den Gipfelgrat. Was von unten noch aussah wie ein wunderbar alpin anmutender Wind am Grat entpuppte sich als etwas vom brutalsten was wir bisher erlebt hatten. Es schien uns als wollte der Gipfel mit allen Mitteln eine Besteigung verhindern. In konstanter Sturmstärke peitschte der Wind auch noch die letzten losen Schneekörner hoch, die wie Nadeln auf der Gesichtshaut einschlugen. Die mit dem Sturm einhergehende abartige Kälte forderte Mental sehr, plötzlich war alles nur noch anstrengend. Nur mit Mühe konnten wir aufrecht weitergehen, eine Kommunikation war unmöglich. Ich versuchte immer wieder die Kapuze weiter ins Gesicht zu ziehen um Erfrierungen zu verhindern. Dabei schob ich jedes Mal die Mütze vor die Augen. Die Mütze zurückschiebend glitt auch die Kapuze nach hinten. Fluchend wiederholte ich das Spiel einige Male. So kämpfte jeder für sich gegen die unbarmherzige Kälte und den gnadenlosen Wind der unter dem Gipfel netterweise auch noch Böhen einsetzte die uns beinahe umwarfen. Die Rucksäcke wirkten wie Segel weshalb wir vom Wind gesteuert wie Betrunkene die letzten Meter den Gipfel empor kraxelten. Endlich oben angekommen konnten wir hinter einem grossen, blumenkohlartigen Schneepfropfen in Deckung gehen. Wie durch ein Wunder schirmte dieser den Wind vollständig ab – selfie-time! Das Vergnügen war allerdings nur von kurzer Dauer! Bereits nach wenigen Sekunden spürten meine Finger den Auslöser nicht mehr und auch die anderen beiden drängten diese Schockgefriertruhe von einem Gipfel zu verlassen. Ab nach unten, ab an die „Wärme“ war die Devise!
Die Abfahrt vom Tokachi hatte alles zu bieten was eine grosse Japan-Skitour bieten kann – knallharter, windgepresster Gratbereich, wunderbar gesetzter, fast knietiefer Powder bis hin zu feinstem, stiebenden JAPOW. Das ganze Vergnügen selbstverständlich ohne jegliche Mitstreiter – die Vulkanologen schleppen ihr Werkzeug nur in Höhen unterhalb der Orkanböhen und kämpften mit ihrer Leiter anstatt an möglichst lange Lines zu denken. Den eisigen Gipfelbereich hinter uns lassend genossen wir unsere letzten grossen Hänge am Fuss des Tokachi.
Durchfroren erreichten wir unser Auto und beschlossen die letzte Möglichkeit wahrzunehmen, das natürliche Onsen zu besuchen. In der Skitour-Montur stiegen wir ab in das dampfende Bachbett. Lediglich drei ältere Japaner lagen in einem der beiden mit Steinplatten eingefassten Pools. Bei mittlerweile minus 16 Grad schälten wir uns aus unseren Gore-Tex-Kostümen und näherten uns dem dampfenden Teich. Schon Sekunden nach dem Eintritt schmerzten meine kalten Hände und Füsse derart, dass ich alle vier Gliedmassen aus dem Wasser streckte und nur ganz bedächtig den Rest des Körpers eintauchte. Nur langsam schlich sich bei mir ein Gefühl der Entspannung ein. Etwas benommen wie die berühmten japanischen Makaken, sassen wir mit roten Köpfen im Wasser und blickten durch den aufsteigenden Dampf in die verschneiten Baumkronen. In Gedanken bei stiebendem Powder, bestem japanischem Essen, riesigen Schneeflocken und freundlichen Menschen machte sich langsam und nicht ohne Wehmut die Gewissheit breit, dass morgen die Abreise aus Hokkaido ansteht. Es geht runter von dieser ruhigen Insel, rein ins Getümmel von Tokio.
Tokio – krasser kann der Gegensatz zu Hokkaido wohl kaum sein. Hokkaido als Bauernhof Japans wirkte auf uns ruhig, gemütlich und entschleunigend. Tokio indes zeigte sich als Grossstadt der Superlative. Die Infrastruktur und das Angebot sprengten alle Vorstellungen. Unsere letzten zwei Tage auf Japan tauchten wir ein in dieses Gewusel aus 10 Millionen Menschen welche in dieser Stadt leben. Wir erlebten was es bedeutet, wenn 37,5 Millionen Menschen welche in und um Tokio wohnen, pünktlich am Bestimmungsort erscheinen wollen und wie unglaublich diszipliniert und effizient sich die Japaner verhalten im Umgang mit einander, sowie im öffentlichen und im individuellen Personenverkehr. Eine Effizienz die auf einem hohen Mass an Zurückhaltung, gegenseitiger Achtung und Disziplin beruht und damit das Leben der Menschen in den Strassen als unerwartet fröhlich und gelassen erscheinen lässt.